Cover
Titel
Geschichte in Spielen: Was steckt dahinter?. 20 Unterrichtsideen zum historischen Lernen anhand bekannter Brett- und Computerspiele (5. bis 13. Klasse)


Autor(en)
Bernsen, Daniel; Behnke, Daniel
Erschienen
Augsburg 2022: -
Anzahl Seiten
88 S.
Preis
€ 23,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Markus Bernhardt, Historisches Institut, Universität Duisburg-Essen

Bei der vorliegenden Publikation handelt es sich um eine Sammlung von Unterrichtsideen, die sich im weitesten Sinn mit der Analyse von verschiedenen Spielen beschäftigen, die auf die eine oder andere Weise „Geschichte“ thematisieren. Spiele werden hier als historische Darstellungen (S. 7) verstanden, die in der FUER-Diktion dekonstruiert werden sollen. Die Unterrichtsideen sind entlang der lehrplanrelevanten Epochen chronologisch angeordnet, von der Antike bis zur Zeitgeschichte. Jede Idee ist nach einem festen Inhaltsschema gegliedert: Kurzvorstellung, Daten zum Spiel/zur Software, benötigte Materialien und technische Voraussetzungen, Ablauf und Methode an einem konkreten Beispiel, mögliche Fallstricke, Möglichkeiten der Differenzierung, Möglichkeiten der Anknüpfung und Weiterführung, alternative Spiele, weiterführende Literatur und Links. Die vorgeschlagenen Zugänge sind unterschiedlich, mal analytisch, mal produktorientiert. Die Unterrichtsideen werden von Erläuterungen der Verfasser gerahmt. Den Anfang der Publikation bildet eine kurze Einführung „Spielen und Lernen: theoretischer Hintergrund und allgemeine Hinweise“ (S. 5–12). Das Ende besteht aus einigen Hinweisen zum Game-based-Learning und enthält Checklisten und Beobachtungsbögen für die Analyse analoger und digitaler Spiele sowie für ihre Eignung im Unterricht. Nach diesen Erläuterungen versteht der Band „Geschichte“ als „eines der zentralen Schulfächer für Medienbildung“ (S. 4) und will „konkrete Vorschläge für das Lernen mit Spielen im Fach Geschichte“ (ebd.) bieten. Die vorgestellten Unterrichtsideen sollen dabei „auf den aktuellen Erkenntnissen zu spielebasiertem Lernen sowie der geschichtsdidaktischen wie geschichtswissenschaftlichen Beschäftigung mit Spielen“ beruhen und „die Vielfalt der Möglichkeiten abbilden, mit analogen und digitalen Spielen im Geschichtsunterricht zu arbeiten“ (ebd.). Diese Ankündigung erscheint dem Rezensenten allerdings zu vollmundig und in Teilen sogar irreführend. Denn eine Auseinandersetzung mit geschichtswissenschaftlichen und -didaktischen Positionen findet eher am Rande statt. Die Vorschläge zielen fast alle auf geschichtskulturelle und mediendidaktische Analysen, die ein hohes Maß an Kontextwissen oder -informationen voraussetzen. Darüber verfügen Lernende zumal in den adressierten Sek. I-Klassen in der Regel nicht, und auf den Arbeitsblättern der Publikation sucht man solche Informationen vergeblich.

Doch zunächst zu den von den Verfassern vorgeschlagenen Unterrichtsideen. Ich greife eine davon heraus, um einen exemplarischen Eindruck zu vermitteln. Etliche der vorgestellten Ideen sind ganz ähnlich konstruiert. In „Bloxels vs. Zivilisationen – historische Darstellungen des Mittelalters in verschiedenen Genres vergleichen“ (S. 36–42) sollen die Lernenden abwägen, wie mittelalterliche Phänomene in den Spielen „Minecraft“ und „Civilization“ aufgegriffen und thematisiert werden. Die Idee besteht unter anderem darin, den Schülerinnen und Schülern die Authentizitätsfiktion von grafisch aufwändigen Spielen wie „Civilization“ nahezubringen. Sie sollen gleichsam nicht der Realitätsanmutung des Visuellen erliegen. Um die Spiele als Konstruktion von Wirklichkeit zu analysieren – was ein überzeugender Ansatz zum historischen Lernen ist –, sollen die Lernenden in fünf verschiedene Rollen schlüpfen und in Gruppen anhand von Videomitschnitten (Let’s Plays) die Spiele untersuchen, und zwar als Level-Designer, als Game-Artist, als Programmierer, als Game-Designer, als Story-Designer und als beratender Historiker. Zum Beispiel soll die Gruppe „Game-Artist“ folgender Frage nachgehen: „Wie sieht das Spiel aus, wie würdest Du die Darstellung und Stimmung beschreiben?“ Die „beratenden Historiker“ fragen, wo im Spiel „historische Fakten erwähnt“ werden, „wie sie […] präsentiert“ werden und ob man erfährt, „ob es sich hierbei um historische Fakten handelt“. Die Gruppe der „Programmierer“ untersucht unter anderem die „grundsätzlichen Spielemechaniken“ (S. 42). Abgesehen davon, ob die Lernenden sich unter den Rollenbegriffen überhaupt etwas vorstellen können (auch beim „Historiker“ wird man nur ein alltagstheoretisches Präkonzept erwarten dürfen), ist es sehr fraglich, ob es mit den zusammengetragenen Gruppenergebnissen gelingen kann, die suggerierte „Authentizität“ der Spiele zu problematisieren. Das mag aufgrund der visuellen Blockarchitektur bei „Minecraft“ noch angehen. Aber mit der Frage nach dem „Faktischen“ oder nach den visuellen Details der Spielewelt ist man schon auf der falschen Spur, auch weil sie am eigentlichen Problem des perspektivischen Narrationsmodells vorbeigeht. Auf welcher Basis soll die Schülergruppe der „Historiker“ denn solche Fakten in den Spielen identifizieren, geschweige denn ihre Triftigkeit überprüfen? Ich könnte jedenfalls nicht auf Anhieb verifizieren, ob eine mittelalterliche Belagerungsmaschine historischen und archäologischen Befunden „faktisch“ entspricht.

Das eigentliche Problem von Spielen wie „Civilization“ ist ohnehin darin zu sehen, dass der „historische“ Ablauf des Spiels einem wirtschaftsliberalen Fortschrittsmodell unterworfen ist, das die Spiel-Entwickler als Modell auf die gesamte Menschheitsgeschichte übertragen haben. Daraus gibt es kein Entrinnen. Das damit verbundene Problem des „historischen Realismus“ bei Computerspielen und seine geschichtsdidaktischen Konsequenzen sind zum Beispiel ausführlich in meiner Monographie „Das Spiel im Geschichtsunterricht“ erläutert worden1. Eine stärkere unterrichtspraktische Konkretisierung von derartigen De-Konstruktionen der „Darstellung“ Computerspiel bleibt also weiterhin ein geschichtsdidaktisches Desiderat.

Nach der Lektüre der Publikation stellt sich demnach ein gemischter Eindruck ein. Viele gute Ideen in einem für den Geschichtsunterricht noch wenig erschlossenen Feld2 sind meines Erachtens nicht bis zur Unterrichtstauglichkeit ausformuliert und herunterdekliniert worden. Vor allem fehlen auf den Arbeitsblättern Quellen und Darstellungen oder andere Hinweise, mit deren Hilfe die angestrebten geschichtskulturellen Analysen auch im Sinne des historischen Lernens gelingen oder mit denen die Lernenden einen Standpunkt gewinnen könnten, von dem aus sie in der Lage wären, den Konstruktionscharakter von Computerspielen zu durchschauen. Auf der anderen Seite finden interessierte Lehrpersonen zahlreiche Anregungen für die Behandlung von (Computer-)Spielen im Geschichtsunterricht.

Anmerkungen:
1 Markus Bernhardt, Das Spiel im Geschichtsunterricht, Frankfurt am Main 3. Aufl. 2018, S. 217–242. Das Buch ist nach dem „Literaturverzeichnis“ (S. 10–12) nicht rezipiert worden.
2 Vgl. Florian Hellberg, Rezension zu: Martin Buchsteiner / Patrick Jahnke, Digitale Spiele im Geschichtsunterricht, Frankfurt am Main 2021, in: H-Soz-Kult, 11.11.2021, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-97096.

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